Ich kann alles was ich dir sagen möchte gar nicht schreiben
Der Briefwechsel von Rainer Brambach und Günter Eich
Nick Lüthi
Ein unbekannter, in der Schweiz lebender Mann, schreibt einem ungemein bekannteren Mann einen Brief. Der bekannte Mann antwortet mit einem netten Brief und einem Buch von sich selbst. Bald wird sich die Anrede verändern vom sehr geehrten, zum lieben Herr, zum Du. Eine Freundschaft wird entstehen, die für die nächsten 23 Jahre und bis zum Tod einer der Männer andauern wird.
Als Rainer Brambach im Januar 1950 den ersten Brief an Günter Eich verfasst, kann dessen Empfänger noch nicht abschätzen, was aus diesem Schriftstück erwachsen wird. Er wird es vier Jahre lang noch nicht tun, erst dann wird auch Eich beginnen, die Briefe Brambachs aufzubewahren. Und so zeugt der hier auf über 500 Seiten wiedergegebene Briefwechsel auch davon in welcher Stellung sich die beiden begegnet sind: Eich war bereits ein bekannter Schriftsteller, der von der Literatur leben konnte, während Brambach an seinen ersten Gedichten sass und seine Brötchen als Gärtner verdienen musste. Diese Ungleichheit zwischen den beiden wird über die Jahrzehnte ihrer Freundschaft nie ganz verschwinden. Eich wird immer die Rolle des Mentors anhaften, die er, als er im dritten Brief im April zum ersten Mal um ein paar Gedichte von Brambach bittet, einnimmt. Eich wird immer der erfolgreichere, weit gereistere der beiden sein, während Rainer Brambach zeitlebens mit jedem erdenklichen Mittel über die Runden kommen muss, um auch noch ein wenig schreiben zu können.
Auch die Zeit hat daran wenig verändert, im Gegenteil, Eich blieb und bleibt als Mitglied der Gruppe 47 und als Mann von Ilse Aichinger einigermassen im Bewusstsein der Öffentlichkeit, während Rainer Brambach heute kaum mehr bekannt ist. Umso faszinierender ist deswegen dieser Briefwechsel, da es einerseits der längste erhaltene Briefwechsel Günter Eichs ist, andererseits aber auch die Rollenverteilung zwischen den beiden immer klar war. So kann man im Fall von Rainer Brambach einem Lyriker beim Wachsen zusehen; der beeindruckenden Entwicklung von ersten Gehversuchen zu den geschliffenen späteren Gedichten hin.
schlafen zu können
vor Mitternacht
und mein Unvermögen
schlafen zu können
vor Mitternacht –
Oben die Venus
der Große Wagen
Mars und Mond
und während ein lauer Wind
die Gardine bauscht
die Uhr tickt
das Herz schlägt
sitzt einer Ulea am Tisch
und sucht nach einem Schluß
der ihn sanft in das Bett bringt.
Der von Roland Berbig herausgegebene Briefwechsel ist eine editorische Grosstat. Das sowohl haptisch wie auch typografisch hervorragend gemachte und gestaltete Buch, muss sich vor dem Inhalt in keinster Weise verstecken. Fein säuberlich sind die 296 noch erhaltenen Stücke aufgelistet und mit gehaltvollen, wenn auch stellenweise repetitiven Kommentaren versehen worden. Ergänzt sind die Briefe mit diversen Typoskripten (hauptsächlich Gedichte und Prosastücke von Brambach), Fotografien und den genau datierten physischen Treffen der beiden. So wird nicht nur der briefliche Austausch der beiden erfahrbar, sondern auch, soweit das heute noch möglich ist, ihre Freundschaft und die damit verbundene gegenseitige Wertschätzung fürs Werk des jeweils anderen.
Brambach hat sich die Anmerkungen von Eich fast immer zu Herzen genommen. Die veröffentlichten Gedichte Brambachs bestehen fast immer aus den an Eich gesandten Rohfassungen, ergänzt um dessen Anmerkungen. Gerade dieser nur selten zu beobachtende Austausch über frühe Fassungen von Gedichten und deren Weiterentwicklung ist ungemein vereinnahmend, da er sich in diesem Buch ausgezeichnet nachvollziehen lässt. Als liebste Anekdote aus diesem Prozess ist mir aber ein verlegerisches Schmankerl geblieben: Die Veröffentlichung eines Gedichtbandes von Eich hatte sich über ein halbes Jahr verzögert, weil sein Verleger Siegfried Unseld mit der Typografie der Fahnen unzufrieden war. Da der Zeilenabstand nicht passte, hat er ihn manuell angepasst und den Druck neu anfertigen lassen. So etwas stelle man sich heute nur vor! Für einen Gedichtband!
Nachvollziehen lassen sich auch die Phasen der Freundschaft zwischen Brambach und Eich. Dass diese über ihre 23-jährige Dauer nicht immer gleich intensiv war, lässt sich vermuten, ist aber doch bemerkenswert, wenn es direkt beobachtet werden kann. Gerade in den 50er-Jahren war die Frequenz der Briefe äusserst hoch und es gab auch viele Treffen, was im darauffolgenden Jahrzehnt merklich abnahm. Eich war neu verheiratet (Brambach auch, bei dem ist es aber eine längere Geschichte) und Aichinger und er waren finanziell gut gestellt, konnten oft herumreisen, während der mittlerweile auch publizierte Brambach weiterhin mit Gärtnerjobs seinen Unterhalt bestreiten musste. Eine gewisse Frustration aufgrund dessen kann nicht ganz ausgeschlossen werden. Und spätestens Ende der 60er, anfangs der 70er wurden die Briefe sehr sporadisch und Jahre vergingen ohne Treffen (was auch am Gesundheitszustand Eichs lag).
Und so endet dieser Briefwechsel auf die gleiche Art und Weise wie auch das Leben endet: Vieles bleibt ungesagt. Weil dafür die Zeit, der Raum oder die Worte gefehlt haben. Wie im Leben auch, mag das unversöhnlich wirken, ja fast grausam, wenn am Ende ein ungeschickter Brief in Rainer Brambachs Nachlass auftaucht, den er wenige Tage vor Günter Eichs Tod verfasst hat. Aber, ob dieser Brief nun gesendet worden wäre oder nicht, er ändert nichts an der tiefen Freundschaft zwischen diesen beiden Männern und ihren Familien, am Aufeinandertreffen dieser beiden Dichter, die sich durch gegenseitige Zuneigung sowohl in Leben wie auch Werk gegenseitig beflügelt und bestärkt haben. Denn dieser Briefwechsel, so literarisch und historisch interessant er auch sein mag, bleibt im Kern doch nur eines; das Zeugnis einer grossen Freundschaft. Und so soll auch diese Besprechung, die im Titel den ersten Satz dieses letzten Briefes trägt, mit dem Rest des Briefes enden, der ja spätestens mit der Veröffentlichung des Briefwechsels entsendet wurde:
Rainer Brambach, Günter Eich: «Nichts und niemand kann dich ersetzen.». Der Briefwechsel.
Herausgegeben von Roland Berbig.
544 Seiten.
Nimbus.
Webseite zum BuchZum Buch: bedruckter Einband (Halbleinen) · Lesebändchen (grau) · farbiges Vorsatzpapier (schwarz) · fadengeheftet
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